Sowjetische Zwangsarbeiter in Königsdorf – Gedenken zum Tag der Befreiung am 8. Mai

„Vor über 10 Jahren fand ich rein zufällig weit ab von den deutschen Kriegsopfergräbern und verborgen hinter einer Hecke am hintersten Rand des Friedhofs in Großkönigsdorf elf Grabplatten mit kyrillischen Buchstaben, etwas verwahrlost, Reifenspuren führten darüber.“ Dieser Satz stammt aus einem Vortrag von Professor Dr. Paul Stelkens aus dem Jahre 2011 vor dem Kuratorium „Kölner Justiz in der NS-Zeit“. Dort berichtete der pensionierte Verwaltungsjurist aus Königsdorf über seine Recherchen zu jenen elf Gräbern, die ihn an seinen Vetter erinnerten – einen jungen Soldaten im zweiten Weltkrieg, der mit 18 Jahren eingezogen und wenige Monate später in der Westukraine als vermisst gemeldet wurde. „Wussten die Angehörigen der hier liegenden Toten ebenso wenig von dem Schicksal ihrer Väter, Brüder, Söhne wie unsere Familie von dem meines Vetters?“ hatte sich Paul Stelkens gefragt – und damit begonnen, der Geschichte des verwahrlosten Gräberfeldes auf besagtem Friedhof in Großkönigsdorf, dem Friedhof Süd, nachzugehen. Es war der Beginn einer 15 Jahre währenden, ehrenamtlichen Forschungsarbeit über das Schicksal von sowjetischen Kriegsgefangenen, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in Königsdorf im Zweiten Weltkrieg.

Gedenken an sowjetische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Königsdorf - Kranzniederlegung auf dem Südfriedhof von Linken und Grünen

Anlässlich der Kapitulation Deutschlands und des Kriegsendes am 8. Mai vor 75 Jahren legten die Frechener Stadtratsfraktionen von Linken und Grünen (Peter Singer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken (l.) und Miriam Erbacher, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Frechener Stadtrat (r.)) unter Beachtung der Corona-Schutzmaßnahmen Kränze an den Gräbern von elf sowjetischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern auf dem Friedhof Süd in Frechen-Königsdorf nieder. Professor Dr. Paul Stelkens aus Königsdorf (Mitte) lieferte einige lokalhistorische Hintergründe.
Foto: Susanne Neumann

Kranzniederlegung an vergessenen Gräbern

75 Jahre nach Kriegsende am 8. Mai 1945 legten die Stadtratsfraktionen von Linken und Bündnis 90/Die Grünen am vergangenen Freitag an jenen elf Gräbern Kränze nieder – zum Gedenken an die vielen russischen Kriegsgefangenen, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die in mehreren Arbeitskommandos auf heutigem Frechener Stadtgebiet eingesetzt wurden. „Es ist uns einfach wichtig, diesen Tag trotz Pandemie nicht sang- und klanglos verstreichen zu lassen“, erklärte Peter Singer, stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion Frechen, „denn schließlich sind allein auf sowjetischer Seite, die damals außer Russland auch Teile des Baltikums, der Ukraine und Weißrusslands einschloss, über 20 Millionen Menschen diesem von Deutschland begonnenen Krieg zum Opfer gefallen.“

Die Gräber sowjetischer Zwangsarbeiter auf dem Südfriedhof in Königsdorf sind laut Linken und Grünen in einem erbarmungswürdigen Zustand

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion haben zur kommenden Ratssitzung am 26. Mai gemeinsam beantragt, dass zeitnah die auf Frechener Friedhöfen vorhandenen Gräber von sowjetischen Kriegsgefangenen bzw. Zwangsarbeitern in einen würdigen Zustand versetzt werden. „Anlässlich einer Kranzniederlegung an den Gräbern sowjetischer Zwangsarbeiter auf dem Friedhof Königsdorf-Süd am 8. Mai 2020 (…) stellten die unterzeichnenden Fraktionen fest, dass die besagten Gräber in einem ungepflegten, unwürdigen Zustand sind“, heißt es in dem Antrag. „Im Gedenken an das unsägliche Leid, dass diesen Menschen hier in Frechen angetan wurde, ist es gerade jetzt wichtig zu erinnern.“ Eine würdige Grabstätte sei das Mindeste, was die Stadt Frechen leisten müsse.
Foto: Susanne Neumann

Namenlos bestattet

Paul Stelkens erzählte den vereinzelten Teilnehmenden, die sich zum Gedenken im vorgeschriebenen Sicherheitsabstand zueinander und mit Mundschutz eingefunden hatten, von jenen elf sowjetischen Kriegsgefangenen, die auf dem Friedhof in Großkönigsdorf bestattet wurden. Das Schicksal von acht von ihnen konnte er zum großen Teil klären. Ihre Namen wurden erst in den 1960er Jahren entsprechend einer registrierten Nummer in die acht Grabplatten eingemeißelt, die die hintere Reihe der Gräberstätte bilden. „Selbst im Tode durften sie nach detaillierten Erlassen der Wehrmacht nicht in Würde begraben werden“, erläutert (*) Paul Stelkens dazu. „Sie mussten am äußersten Rand des Friedhofes, getrennt von den Gräbern der deutschen Bevölkerung, begraben werden, und zwar namenlos, nur unter einer Nummer registriert.“

    • (*) Zitat aus seinem Vortrag „Vergessene sowjetische Kriegsopfergräber in Frechen-Königsdorf. Zum Schicksal von Gefangenen und Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkrieges“ vom Mai 2011 (S. 34).

Junge Männer starben an Erschöpfung

Sie waren nur 20 bis 24 Jahre alt geworden, als sie zwischen Dezember 1941 und April 1943 bestattet wurden – wenige Monate nach ihrer Gefangennahme. Wie Paul Stelkens ebenfalls herausgefunden hat, waren sie noch gesund, als sie in Gefangenschaft gerieten. Die jungen Männer starben durch Verhungern, fehlende medizinische Behandlung und Zwangsarbeit bis zur völligen körperlichen Erschöpfung. Drei von Ihnen wurden erschossen, als sie zu fliehen versuchten.

Lageplan der elf Gräber sowjetischer Zwangsarbeiter auf dem Sübfriedhof Königsdorf

Quelle: Prof. Dr. Paul Stelkens: „Vergessene sowjetische Kriegsopfergräber in Frechen-Königsdorf. Zum Schicksal von Gefangenen und Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkrieges“, Vortrag vor dem Kuratorium „Kölner Justiz in der NS- Zeit“, Mai 2011, S. 2

Namen von acht sowjetischen Kriegsgefangenen

Den Recherchen zufolge gehörten alle Acht zu einem Arbeitskommando in Königsdorf, das den Rheinischen Braunkohlengruben (RAG) zugewiesen war. Die 70 bis 100 Mann des Kommandos waren unter unmenschlichen Bedingungen auf dreistöckigen Pritschen in einem ehemaligen Tanzsaal einer Gaststätte an der Aachener Straße untergebracht – neben der heutigen Post. Das Lager war eines von zwei Gefangenenlagern für sowjetische Zwangsarbeiter in Königsdorf, ein zweites gab es in Kleinkönigsdorf an der Waldstraße, wie Paul Stelkens weiß. Unter dem Vorwand, dass die Sowjetunion die Genfer Kriegsgefangenenkonvention von 1929 nicht unterschrieben hätte, wurden die sowjetischen Kriegsgefangenen nicht zusammen mit denen aus anderen Nationen untergebracht. Deshalb gab es auch keine Kontrolle durch das Internationale Rote Kreuz.

Auch nicht in Königsdorf, wie Paul Stelkens Recherchen ergaben. Die sowjetischen Zwangsarbeiter aus dem Lager an der Aachener Straße arbeiteten unter schwersten Bedingungen zwölf Stunden am Tag vor allem an der Aufschüttung eines Straßendamms für die Aachener Straße zwischen Königsdorf und Horrem. Der Damm war nötig, weil die Alte Aachener Straße damals wegen des Braunkohleabbaus in der Beißelsgrube und der Grube Fischbach verlegt werden musste. Ob ihre Angehörigen von ihrem Schicksal und ihren letzten Ruhestätten in Königsdorf wissen, konnte Paul Stelkens bis heute nicht in Erfahrung bringen.

Namenlose Grabplatte einer sowjetischen Zwangsarbeiterin, Friedhof Süd Königsdorf

„Sowjetische Staatsbürgerin“ † 1944: die mittlere der drei Grabplatten in der vorderen Reihe in der Gruppe der Gräber sowjetischer Kriegsgefangener auf dem Südfriedhof in Frechen-Königsdorf.
Foto: Susanne Neumann

Auf den drei Gräbern in vorderer Reihe sind keine Namen zu lesen. „Sowjetischer Staatsbürger“ ist auf Deutsch übersetzt in kyrillischen Buchstaben auf der ersten Grabplatte eingemeißelt, „Sowjetische Staatsbürgerin“ jeweils auf den beiden anderen. In einer Liste aus dem Jahr 1948/49 werden sie erwähnt als Gräber von einem Russen und zwei Ukrainerinnen. Wer sie waren, hat Paul Stelkens bis heute nicht herausfinden können.

Lokalhistorische Beiträge zum Zweiten Weltkrieg

Für das Stadtarchiv Frechen hat Professor Dr. Paul Stelkens die Ergebnisse seiner ehrenamtlichen Forschung in einem Buch mit dem Titel „Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in Königsdorf“ zusammengetragen. Es ist zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Königsdorfer Kriegsopfergräber und zum Kriegsende in Königsdorf am 4. März 1945.

Der Vortrag unter der Überschrift „Vergessene sowjetische Kriegsopfergräber in Frechen-Königsdorf. Zum Schicksal von Gefangenen und Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkrieges“, den Professor Dr. Paul Stelkens im Mai 2011 vor dem Kuratorium „Kölner Justiz in der NS- Zeit“ im Verwaltungsgericht Köln hielt, ist auf den Internetseiten des Stadtarchivs Frechen als pdf-Dokument herunterzuladen. Unter https://www.stadtarchiv-frechen.de/stadtgeschichte/veroeffentlichungen/videos hat das Stadtarchiv zum Tag der Kapitulation der deutschen Wehrmacht diesen und eine Reihe weiterer lokalhistorischer Beiträge von Professor Dr. Paul Stelkens sowie von Dr. Jochen Menge vom Frechener Geschichtsverein zusammengetragen, die für den privaten Gebrauch zum Download zur Verfügung stehen.

1 Kommentar

  • Wolfgang Höfig

    Gedenken der Gefangenen u. Zwangsarbeiter nebst Aufklärung ist richtig, wichtig und ehrenhaft. In Bachem gibt es auch eine unbeachtet Reihe der armen Opfer. Wir sollten aber auch den betroffenen deutschen Kindersoldaten Gräbern und auch normalen Gefallenen Soldatengräbern eine bessere Pflege und Aufmerksamkeit zukommen lassen, als ob nur einmal im „normalen“ Jahr über die Kriegsgräberfürsorge einen Kranz zu legen.. (diese Gräber sind in einem nicht minder unbeachtetem Zustand). Eine Stadt darf an der Stelle durchaus mehr tun, als Ehrenamt leisten kann. Mir graut es eh jedesmal wenn ich -sehr verwittert- auf Grabstellen von 14 bis 18 jährigen Faschismusopfern lesen muss.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert